Kolumbarium als Totenstadt

Gestal­tung eines Kolum­bar­i­ums in der Kirche St. Nico­lai in Eisleben

Die »Toten­stadt«, mit mehrrei­hig hin­tere­inan­der gestaffel­ten Urnen­schränken samt ihrer abstrahierten spät­go­tis­chen Giebe­lauf­sätze, erscheint äußer­lich in einem schwarz geköhlten, sei­denglänzen­den »Gewand«. Jedoch das einge­fräste helle Kreuz als Griff­mulde zum Öff­nen der Schreine sowie die an deren Türen ein­gravierten, goldgelb schim­mern­den Namen der Ver­stor­be­nen ver­weisen pietätvoll auf den christlichen Glauben an die Auferstehung.

Nach der denkmal­gerecht­en Instand­set­zung und Restau­rierung wird die Kirche St. Nico­lai in Eisleben ein­er neuen Nutzung zuge­führt. Der spät­go­tis­che Raum wird einem Kolum­bar­i­um Platz bieten. Die kün­st­lerische Her­aus­forderung bestand darin, in der Hal­lenkirche vor einem im let­zten Joch eben­falls neu einge­baut­en Kirchenar­chiv eine angemessene Unter­bringung von möglichst vie­len Urnen zu bew­erk­stel­li­gen und deren »Behausun­gen« (Urnen­schreine) einen entsprechen­den Andacht­sraum im Chor gegenüberzustellen.

Die daraufhin entwick­elte »Toten­stadt« mit mehrrei­hig hin­tere­inan­der gestaffel­ten Urnen­schränken im Mit­telschiff erscheint äußer­lich in einem schwarzen sei­denglänzen­den »Gewand«. Jedoch das einge­fräste helle Kreuz als Griff­mulde zum Öff­nen der Schreine sowie die an deren Türen ein­gravierten, goldgelb schim­mern­den Namen der Ver­stor­be­nen ver­weisen pietätvoll auf den christlichen Glauben an die Aufer­ste­hung. Dieser Aspekt wird gestal­ter­isch ein­mal mehr durch die in ihrem Inneren ganz in hellem Holz belasse­nen Schreine sicht­bar und find­et eine Fort­set­zung in der Gegenüber­stel­lung der dun­klen Urnen­schränke mit den hell gehal­te­nen Eichen­mö­beln im Chor. Damit ver­mag der bedeu­tungstra­gende Far­bkon­trast eine inhaltliche Brücke zwis­chen der »Toten­stadt« und dem Andacht­sraum zu schla­gen. Auch for­mal sind diese Bere­iche miteinan­der ver­schränkt: Das Motiv der getreppten Giebel an den Urnen­schränken find­et eine Wieder­auf­nahme im Sock­el­bere­ich der Möbel im Chor.
Die Schreine für die Auf­nahme der Urnen sind ver­set­zt und luftig ange­ord­net, und so ergeben sich wie in einem Stadt­bild kleine Gassen, Ruhe­p­lätze und immer wieder neue Ein- und Durchblicke.

Das für die Her­stel­lung der Schränke ver­wen­dete Eichen­holz wird – dem Vor­gang ein­er Feuerbestat­tung entsprechend – in einem »kre­ma­torischen« Prozess schwarz geköhlt. »Köhlen« ist eine uralte Holzvere­delungsmeth­ode durch Feuer, die heute nicht nur ver­mehrt und sehr ein­drucksvoll an Architek­tur­fas­saden zu bewun­dern ist, son­dern auch im Möbel­bere­ich zum Ein­satz kommt. Diese Meth­ode hält Schim­melpilze, Insek­ten und Fäul­nis ab, macht das Holz wit­terungs­beständig und ver­sieht es mit ein­er samtig weichen Hap­tik. Aus der Tiefe der schwarz geköhlten Ober­fläche schim­mern lebendig viele andere Farb­nu­an­cen her­vor. Auch deutet sich in der als Resul­tat des Köh­lung­sprozess­es ober­fläch­lich leicht aufge­broch­enen Holzstruk­tur die Vergänglichkeit, das Ephemere des men­schlichen Daseins metapho­risch an.
Sowohl die im Schwarz­ton erkennbare charak­ter­is­tis­che Maserung der Eiche als auch die mit auswech­sel­baren Kas­set­ten seg­men­tierten Türen sowie die Gliederung der Giebel ver­lebendi­gen die schwarzen Flächen des Urnen­schrankes und nehmen ihm seine Block­haftigkeit. Darüber hin­aus unter­stützt das Schwarz eine skulp­tur­al-abstrak­te Wirkung im Raum, und so kann das »Möbel« als mod­ernes Kunst­werk seine Kraft entfalten.

Die markan­ten spät­go­tis­chen Giebel ver­weisen ein­drück­lich auf die Entste­hungszeit des Kirchen­raumes und erin­nern mit ihrem For­menkanon an das Kirchen­mo­bil­iar dieser Epoche. Die leichte Über­größe der Schreine impliziert hier eine sich aus­bal­ancierende Mitte zwis­chen den Bild-Assozi­a­tio­nen Schrank und Giebel­haus (Mini-Architek­tur).

Die Bestat­tungsz­er­e­monie in Form ein­er Prozes­sion der Trauerge­meinde samt Urne vom Licht durch­fluteten Kirchen­chor mit seinem hellen Holz­mo­bil­iar durch die »Toten­stadt« zum geöffneten Urnen­schrank stellt einen beson­ders würde­vollen Umgang mit der Asche des Ver­stor­be­nen dar.
Das auf einem Pult im Ein­gangs­bere­ich der Kirche platzierte Toten­buch enthält einen kleinen Ori­en­tierungs­plan (»Stadt­plan«) der »Toten­stadt«. In ihm sind die an den Schmal­seit­en der Schränke ein­gravierten »Haus­num­mern« verze­ich­net und verortet. Darüber kön­nen die Ange­höri­gen schnell den Urnen­platz des Ver­stor­be­nen find­en. Eben­falls ist dort ein Podest für die Ablage von Blu­men posi­tion­iert. Dessen Grund­fläche entspricht, wie auch die der Ruhein­seln in der »Toten­stadt«, exakt der der Schreine und daher fügen sich diese Möbel in das Wegeraster pass­ge­nau ein.

Wenn die Ruhezeit der Urne abge­laufen ist, bleibt die Asche in einem Asche­brun­nen in der Kirche – anders als auf einem Fried­hof, wo Gräber irgend­wann eingeeb­net wer­den. Zu diesem Zweck wurde unter dem Him­mel­sloch inmit­ten der Toten­stadt ein hochglanzpoliertes Bronzekreuz in den Sand­stein­bo­den ein­ge­lassen, um diese ewige Ruh­estätte angemessen zu betonen.

Das Lichtkonzept im Mit­telschiff sieht eine unauf­fäl­lige Ausleuch­tung der Gewölbe vor. Das weiche, aus den Gewöl­ben reflek­tierte Licht, nimmt sich zurück und lässt der Beiset­zungsz­er­e­monie den Vor­rang. Hin­ter die »Kulis­sen« der Stufengiebel der Urnen­schränke sind LED Fluter inte­gri­ert, die die Gewölbe des Hauptschiffes ausleucht­en. Im Sock­el­bere­ich sind hinge­gen engstrahlende LED Leis­ten ange­ord­net, die das Bode­num­feld san­ft aufhellen.

Die in ihrer Gesamtheit, hin­sichtlich Form‑, Mate­r­i­al- und Far­bge­bung, mit der Aufer­ste­hungs­the­matik ver­bun­dene Entwurf­sidee für das Kolum­bar­i­um kor­re­spondiert mit dem Bild­in­halt der fünf großen, mundge­blase­nen Chor­fen­ster. Für deren entsprechende Neugestal­tung kon­nte der junge Glaskün­stler und Bur­gab­sol­vent Jakob Schre­it­er gewon­nen wer­den. For­mal the­ma­tisiert sein Entwurf das im Wind aufwe­hende Grab­tuch Christi. Das in den Fen­stern schwebende Tuch erscheint einge­froren und deutet zugle­ich eine auf- und wieder absteigende, sich leg­ende Bewe­gung an. In dieser ein­drucksvollen ephemeren Fig­ur vere­inen sich die Zartheit und Vergänglichkeit des Lebens mit der Kraft und Dynamik eines Sieges über den Tod.
Das dargestellte Motiv wird, um diese Simul­tan­ität zu erzeu­gen und zu beto­nen, in ein­er Kom­bi­na­tion aus Sieb­druck und Air­brush­malerei umge­set­zt. Es entste­ht dabei ein feines Spiel aus weichen Grautö­nen, weißen Kon­turen und semi-trans­par­enten Flächen, durch die das Licht wirkungsvoll in den Kirchen­raum ein­tritt.
Im ersten Kolum­bar­i­um dieser Art in Sach­sen-Anhalt ste­hen sich somit zwei Arbeit­en, die das Tran­si­torische und Ephemere bild- und prozesshaft ver­ar­beit­en, einan­der aus­drucksstark gegenüber.

Das Kolum­bar­i­um in der Kirche St. Nico­lai in Eisleben wird im Juni 2022 fer­tiggestellt sein.

Jahr:2022
Entwurf und Gesamtkonzept:Prof. Vin­cenz Warnke, Dipl. Des. Ulrike Meyer
Entwurfs- und Ausführungsplanung:Prof. Vin­cenz Warnke, Dipl. Ing. Mar­tin Büdel
Gestal­tung Chorfenster:Jakob Schre­it­er
Licht­pla­nung:Zogel LIGHTING, Düsseldorf
Her­stel­lung der Möbel:Bögel­sack Möbel­man­u­fak­tur GmbH, Halberstadt
Bauherr und Auftraggeber:Evan­ge­lis­ch­er Kirchenge­mein­de­ver­band Luther­stadt Eisleben
Nähere Infor­ma­tio­nen unter: kirche-in-eisleben.de